Zugegeben: Technisch hat sich da Einiges getan seit den 90ern, wo ich an einer Videokonferenz zwischen einem großen deutschen Unternehmen und einem US-amerikanischen teilnahm. Das war ein ziemliches Novum und entbehrte nicht einer gewissen Komik. Wie die Bienen schwirrten die technikverantwortlichen im Besprechungs- und Übertragungsraum herum, justierten Mikrofone, Telefonleitungen, Projektoren etc. mit recht bescheidenen Ergebnissen. Technisch hat man das heute doch weitgehend im Griff.
Aber die Technik ist nicht alles. Die gemeinsame Kaffeepause, das Gespräch unter 4 Augen, die informellen Gespräche nach dem offiziellen Teil, das alles sind Elemente der Kommunikation und des einander Verstehens, die allein durch Bild- und Tonübertragung nicht ersetzt werden können. Nicht annähernd.
Klar, durch den aktuellen Zwang sehen wir, was möglich ist, aber auch wo die Grenzen und unerwünschten Nebenwirkungen der digitalisierten Kommunikation liegen. Höchste Zeit für solide Studien in unterschiedlichen Anwendungsbereichen bzgl. der Auswirkungen, gerade des Arbeitens von zu Hause aus.
Unterschiedliche Szenarien
Da haben wir die klassischen firmeninternen Meetings, die Teilnehmer kennen sich normalerweise und wenn es um die Präsentation und Diskussion von Inhalten geht, so kann ein erheblicher Anteil persönlicher Meetings ersetzt werden. Vorausgesetzt, man hat zu Hause die entsprechenden Möglichkeiten, die jedoch keineswegs vorausgesetzt werden können. Eine ruhige Ecke mit ausreichender Abschottung vom häuslichen Geschehen ist das eine. Aber auch eine ergonomische Ausstattung gehört dazu, die nun weiß Gott nicht jeder zu Hause hat. Fragen der Computer-Sicherheit sind zu lösen, arbeitsrechtliche Fragen zu klären, steuerliche Möglichkeiten ebenso. Freiere Zeiteinteilung klingt zunächst gut, setzt aber eine ausgeprägte Vertrauenskultur und die Fähigkeit zum selbstständige(re)n arbeiten voraus.
Das Gehirn braucht mehr als Bild und Ton
Da gibt es aber auch andere Aspekte, die einem nicht auf Anhieb in den Sinn kommen. Etwa bei Online-Kursen: Ein persönliches Kennen kann hier nicht vorausgesetzt werden, die Startbedingungen sind anders. Vertrauen und Sympathie muss zunächt - am Bildschirm - erarbeitet werden. Im Laufe längerer Zeitstrecken stellt sich ein Phänomen ein, dass einem klarmacht, dass Erinnerungen im Gehirn in mehrfacher Hinsicht verknüpft werden und weit über Bild- und Tonsignale hinausgehen. Kleine Ereignisse in einem Präsenzunterricht, unbeabsichtigte Vorfälle, Wetterereignisse, Zuspätkommen, Peinlichkeiten, Störungen, Lachen über Scherze, sehr vielfältig sind die Eindrücke, die das Individuum mit der Vermittlung von Lernstoff verknüpft und das Erinnern erleichtert. All das fehlt in der digitalen Kommunikation, das sich auf Bild und Ton reduziert. Viel Stoff für lernpsychologische Studien.
Und die Gesundheit?
Anhängig vom Berufsbild treten aber auch gravierende Einflüsse auf arbeitsmedizinische Belange auf. Es macht einen himmelweiten Unterschied, ob man - etwa als Programmierer oder technischer Zeichner - zwar im Prinzip bildschirmgebunden arbeitet, aber nach Gutdünken kleine Pausen einlegen kann, entspannte Positionen einnehmen darf, diese auch öfter mal wechseln kann, im Vergleich zu dialogorientiertem Interagieren mit anderen Personen, welches den Homeworker doch in eine wenig entspannte Position vor dem Bildschirm zwingt. Nimmt dies einen großen Teil der Tagesarbeit in Anspruch, dann sind Haltungs- und Sehschäden und die bekannten Wirkungen eines Bewegungsmangels vorprogrammiert.
In vielen Lebensbereichen sind wir nun ohne größere Vorbereitung in Zwänge hineingerutscht, die nicht ohne weiteres auf mittlere Sicht beibehalten werden können. Da gibt es verdammt viel zu tun und nur ein Bruchteil dessen hängt an der hinreichend bejammerten Infrastruktur des Internet.
Du hast das schon impliziert und ich kann es nicht oft genug sagen: 93 Prozent der Kommunikation sind NONverbal! Mann kann am Telefon oder per Zoom sicher einiges besprechen, aber ich hasse es wie die Pest beispielsweise, mit einem neuen Geschäftspartner die erste Verhandlung über alle Modalitäten nicht persönlich führen zu können. Da fällt ALLES weg, was ich für mich in die Waagschale legen kann. Diese ganze Digitalisierungsdiskussion ist ein abgehobener und rein theoretischer Mist, bei dem alle gerne vergessen, dass wir von Mimik, Gestik, Trieben und allem Möglichen gesteuert werden und Nullen und Einsen all das nicht transportieren können. https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-531-93497-6_3